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Kinder brauchen mehr / Jugend braucht mehr

von Ariadne Sartorius
  • 15. September 2021
  • KJP

Es ist jetzt ein halbes Jahr her, dass ein breites Bündnis von Verbänden ein Maßnahmenpaket für Kinder und Jugendliche von der Politik gefordert hat.
Inzwischen ist unbestritten in Medien und Politik, was auch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien belegt: Dass die Corona-Pandemie und die zu Ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen gerade Kinder und Jugendliche in besonderem Maße belastet haben. Die Einschränkungen der letzten 18 Monate haben viele Familien an ihre Grenzen gebracht. Unsere 5 Kernforderungen, die wir in der gemeinsamen Online-Diskussionsveranstaltung von insgesamt 28 Berufsverbänden vorstellten, lauteten daher damals:

  • Gründung eines Jugend-/Kinderrats analog dem Ethikrat
  • Einrichtung einer zentralen, deutschlandweit beworbenen Hilfsnummer für Kinder und Jugendliche in Not
    Umsonst, für alle und draußen: tägliche Sport-, Bewegungs- und kulturelle Aktivitäten an öffentlich zugänglichen Orten
  • Niederschwellige und längerfristig angelegte Kurs- und Projektangebote für Kinder und Jugendliche außerhalb des Schulunterrichts
  • Initiative zur Anwerbung von Honorarkräften unter soloselbstständigen Kunstschaffenden und beschäftigungslos gewordenen Personen aus dem Kultur- und Sportbereich zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen.

Obgleich unsere Veranstaltung seinerzeit in Fachkreisen und in der Presse auf großes Interesse gestoßen war, war doch die Resonanz von Seiten der Politik – so deutlich muss man es leider sagen – nahezu Null. Politiker*innen aller angefragten Ministerien waren „verhindert“, niemand wollte sich den Fragen auf dem Podium und der Fachdiskussion stellen.

Aber wir lassen uns nicht so leicht entmutigen, bereiten inzwischen die zweite Veranstaltung am 09.11.2021 vor – auch dieses Mal wieder ohne Repräsentant*innen der politischen Interessensvertretungen auf dem Podium, denn es ist davon auszugehen, dass die zukünftigen Abgeordneten des Deutschen Bundestags zum Zeitpunkt unserer Veranstaltung mit sich selbst und ihren konstituierenden Sitzungen beschäftigt sein werden und damit, einen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Das hält uns aber nicht davon ab, noch einmal in den Ministerien nachzufragen, was denn aus unseren Forderungen geworden ist und wie man gedenkt, den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden. Auch die Ergebnisse dieser Anfrage werden wir am 09.11. vorstellen.

Doch in einer dritten Veranstaltung sollen Sie uns dann möglichst selbst darstellen, was sie bereits auf den Weg gebracht haben und was sie – im Rahmen der neuen Regierung – für die psychische und körperliche Gesundheit der Kinder- und Jugendlichen zu tun gedenken. Diese Veranstaltung wird dann 2022 punktgenau ein Jahr nach der ersten Veranstaltung stattfinden – erneut am 24. März.

Kinder und Jugendliche brauchen unser Engagement und unsere Fürsprache. Zudem stellt sich ihre Situation zum Beispiel im Speckgürtel Münchens weitaus besser dar als in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands. Unser Land ist bei der Versorgung der Kinder und Jugendlichen ein Flickenteppich, dies liegt zum einen am unterschiedlichen Finanzvolumen der Kommunen, zum anderen an der Uneinheitlichkeit der Finanzierungs- und Zuständigkeitsbereiche.

Schwierig sind diese auch im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie . Doch davon können auch alle Kinderärzt*innen, Kinder- und Jugendpsychiater*innenn, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen oder Erzieher*innen ein Lied singen. Was im Kleinen nicht gut funktioniert, das Ineinandergreifen von verschiedenen Sozialgesetzbüchern wie dem SGB V und dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, (ganz zu schweigen von weiteren Sozialgesetzbüchern wie dem SGB XII), funktioniert auch im Großen nicht. Leerstellen zwischen den Zuständigkeiten der Gesetzbücher finden sich zum Beispiel auch, wenn es um den Wechsel von ambulanten zu stationären Angeboten geht oder bei Finanzierungen und Kooperationen im Jugendhilfebereich. Hier kommen teilweise Gelder vom Bund, die jedoch an Finanzierungen aus den Kommunen geknüpft sind. Oft weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Leider werden auch nicht bundesweitbest practice Beispiele, wie es gut funktionieren könnte, gesammelt und veröffentlicht. Würde man es versuchen, scheiterte man auch dabei voraussichtlich an der regionalen Unterschiedlichkeit der Kostenträger und Zuständigkeiten und Konzepte.

Alle diese Probleme haben massive Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Kindheit und Jugend finden in einem Zeifenster statt, in dem Entwicklungen in einem Tempo stattfinden, das sich nie wieder im späteren Leben zeigen wird. Wenn es einem 12-jährigen Kind ein halbes Jahr lang nicht mehr möglich ist, seinen/ihren Alltag zu leben, hat dies in der Regel viel länger nachwirkende Konsequenzen als wenn dies beispielsweise einem 45-jährigen Menschen geschehen würde. Denn für das Kind bringt es häufig den Abbruch von Freundschaften mit sich, deren Fortbestand aber für die Entwicklung des Kindes eine wichtige Rolle spielen würde. Anders als bei Erwachsenen sind diese aber nicht über Jahre oder Jahrzehnte gewachsen und haben sich entsprechend gefestigt. Mit hohem Risiko ist mit diesem halbjährigen Eingriff auch verbunden, dass die Klasse wiederholt werden muss, was möglicherweise den endgültigen Verlust von stabilisierenden Freundschaften mit sich bringt. Mittel- und langfristig wird dies nicht nur emotionale, soziale und psychische Folgen haben, sondern sich gegebenenfalls sogar lebenslang auf das spätere Berufsleben des Kindes negativ auswirken. Eine einzige Impulshandlung, die – und sei es es nur für eine Nacht – zur Einweisung in ein Psychiatrisches Krankenhaus führt – kann in diesem Land noch immer lebenslang Berufsträume zunichtemachen oder auch „nur“ den Zugang in unser privates Versicherungssystem versperren.

Wir als bvvp wollen dazu einen Beitrag leisten, diesen vielen Missständen etwas entgegenzusetzen. Deswegen sollen und werden bei der Veranstaltung am 09.11. Kinder und Jugendliche auch selbst zu Wort kommen.
Lassen Sie sich überraschen von unseren kreativen Ideen, von interessanten Fachvorträgen und einer hoffentlich engagierten Diskussion auf unserem Podium.

Die Anzahl der Live-Plätze in Berlin ist begrenzt, die Anzahl der digital Teilnehmenden hingegen nicht. Die Anmeldung zur Veranstaltung finden Sie hier:

https://eveeno.com/kinderbrauchenmehr

Wir hoffen, mit vereinten Kräften unseren Forderungen für Kinder und Jugendliche eine Stimme zu verleihen, die gehört werden muss. Und wir geben lange noch nicht auf.

Autor*in

Ariadne Sartorius

-Landesvorsitzende des bvvp-Hessen
-Mitglied in der Delegiertenversammlung der Psychotherapeutenkammer Hessen
-Mitglied im Ausschuss Psychotherapie in der ambulanten Versorgung der Psychotherapeutenkammer Hessen
-Mitglied in der KJP-AG der Psychotherapeutenkammer Hessen
-Mitglied des Deutschen Psychotherapeutentages
-Mitglied und Sprecherin des KJP-Ausschusses der Bundespsychotherapeutenkammer
-Stellvertretende KJP-Sprecherin im Länderrat der Bundespsychotherapeutenkammer
-Stellvertretendes Mitglied im Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen

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