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Die vermeintlich angemessene Vergütung

von Ulrike Böker

Es ist wieder soweit: Der Bewertungsausschuss der Selbstverwaltung, bestehend aus drei Vertretern der KBV, drei des GKV-Spitzenverbands und gegebenenfalls drei unparteiischen Mitgliedern – falls sich die beiden erstgenannten Bänke nicht einigen können –, muss die Angemessenheit der Vergütung der genehmigungspflichtigen Leistungen überprüfen. Das Verfahren geht zurück auf ein Urteil des Bundessozialgerichts aus 1999, als die Bedrohung der wirtschaftlichen Situation der niedergelassenen Psychotherapeut*innen existenzgefährdende Ausmaße angenommen hatte. Daraufhin konstruierte das Gericht eine Musterpraxis und legte anhand dieses Konstrukts die Mindestvergütung psychotherapeutischer Leistungen fest. Diese Leistungen sind gekennzeichnet durch mehrere Besonderheiten: Sie sind nicht delegierbar, sie sind genehmigungspflichtig, und sie sind zeitgebunden.

Grundsatz des Konstrukts: Einer maximal ausgelasteten Psychotherapiepraxis, die von einer Halbtags-Bürokraft unterstützt wird (gerechnet werden 36 Sitzungen x 43 Wochen des Jahres = 1.548 Sitzungen im Jahr, das entspricht der Musterpraxis laut Bundessozialgericht (BSG) ), muss es möglich sein, den Durchschnittsertrag anderer grundversorgender Facharztgruppen zu erwirtschaften.

Dieser Grundsatz der Vergütung der genehmigungspflichtigen Psychotherapie – dem später übrigens auch die Vergütung der Psychotherapeutischen Sprechstunden und der Akutbehandlung folgte – hat nun schon einige Jahre auf dem Buckel. Und gegen ihn und die Form seiner Umsetzung müssen diverse Kritikpunkte benannt werden:

Die Anpassung der Vergütung erfolgt immer erst deutlich verzögert. So werden die für die Überprüfung notwendigen Daten des Statistischen Bundesamts nur alle vier Jahre veröffentlicht. Bis dahin ruht das Honorar auf dem alten Niveau, die Umsätze der grundversorgenden somatischen Fachärzte steigen aber im selben Zeitraum stetig an.

Das Konstrukt beinhaltet zudem die grundsätzliche Ungerechtigkeit, dass die Maximalauslastung unserer Praxen verglichen wird mit einem Durchschnittsertrag von Facharztpraxen. Die Beschwerde des bvvp beim Bundesverfassungsgericht hat auch diese Ungleichheit zum Inhalt, doch bei Gericht ruht der See seit Monaten still.

Die berechnete Mindestvergütung bedeutet letztlich eine Maximalvergütung, denn über dieses Niveau hinaus ist die Vergütung zu keiner Zeit angestiegen.

Die zur Berechnung herangezogenen Praxiskosten der Psychotherapeut*innen, haben sich noch nie auf die Stichprobe jener Praxen bezogen, die die Kriterien der BSG-Musterpraxis tatsächlich erfüllen, sprich die 1.548 Sitzungen im Jahr erbringen. Stattdessen werden immer nur die Praxiskosten des oberen Umsatzdrittels der Psychotherapeut*innen herangezogen, was das Ergebnis regelhaft absenkt. Weniger Umsatz bedeutet regelhaft auch weniger Praxiskosten.

Die Kassen versuchen bei allen Verhandlungen, die Honorare zu drücken. Das letzte Mal geschah dies durch eine Aufweichung der klassischen Formel des BSG in der Form, dass nun plötzlich auch „Nebenverdienste“ berücksichtigt wurden. Nun wurde plötzlich die besser vergütete Gruppenpsychotherapie oder die Pauschale zur Förderung der fachärztlichen Grundversorgung in den Gesamtumsatz mit eingerechnet, was dann den Preis für die Sitzungen selbst absenkte. Der weiteren Aufweichung steht somit nichts im Wege, denn die Gerichte haben sich bisher dazu nicht geäußert, trotz zweier Musterklagen in Brandenburg und Hessen, in denen unter anderem genau dies beanstandet wird. Seit Jahren legen die Psychotherapeut*innen regelhaft Widerspruch gegen den Honorarbescheid ein – und erhalten dann nach gerichtlichen Klarstellungen immer wieder deutliche Nachzahlungen. Ein mühsames Unterfangen für alle Beteiligten.
Wäre es also nicht allerhöchste Zeit, dass es keines BSG-Urteils mehr bedarf, um den Psychotherapeut*innen ein vergleichbares Einkommen zu dem der somatischen Ärztinnen zu ermöglichen?

Schön wäre es, aber leider ist hier keine Besserung in Sicht. Das grundsätzliche Problem im Einheitlichen Bewertungsmaßstab EBM, dessen Leistungen nach der Systematik des Standardbewertungssystems (StaBS) bewertet werden, ist die Unterfinanzierung von zeitgebundenen und zuwendungsorientierten Gesprächsleistungen. Je höher deren Anteil in einem Fachgebiet ist, desto weniger Honorarumsatz kann generiert werden. Psychotherapeutische Praxen erbringen ausschließlich solche Leistungen, und sie sind überdies zeittreu: Eine Sitzung umfasst mindestens 50 Minuten, und die organisatorische Aufstellung als Bestellpraxis ermöglicht es, diese Zeitvorgabe auch konsequent einzuhalten. Überdies ist die sogenannte Kalkulationszeit einer Einzelsitzung mit 60 Minuten äußerst knapp angesetzt, für die Berechnung des Einsatzes an Arbeitszeit werden also neben den 50 Minuten Behandlungszeit nur 10 Minuten an Vor- und Nachbereitungszeit zugestanden.
Wenn man wissen möchte, was genau eine Sitzung von 50 Minuten nach der regulären Berechnung mit dem StaBS erbringen würde, kann man sich das Ergebnis in der Bewertung der Probatorischen Sitzungen anschauen, die nicht durch das BSG-Urteil geschützt sind: 79,88 Euro statt 103,87 Euro!

Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass das Statistische Bundesamt in Zukunft die Daten zu den Kostenstrukturen in ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen jährlich zu erheben und zu veröffentlichen hat. Das würde bedeuten, dass die besondere Überprüfung der „angemessenen“ Vergütung in Zukunft auch jährlich zu erfolgen hätte. Damit sind wir zeitlich näher an den Honorarentwicklungen der anderen Fachgruppen dran. Das wäre ein Schritt – ein zweiter sollte folgen: Es sollte gleichzeitig überlegt werden, wie das Verfahren einem Automatismus unterworfen werden kann, der verhindert, dass jedes Jahr aufs Neue verhandelt und gekämpft werden muss und von Seiten der Kassen immer wieder neue Ideen vorgelegt werden, wie unser Honorar heruntergerechnet werden könnte.

Autor*in

Ulrike Böker

Seit 2010 Mitglied des bvvp, seit 2012 im Bundesvorstand aktiv und stellvertetende Vorsitzende des bvvp-Baden-Württemberg. Mit eigener Kassenzulassung in Reutlingen tätig. Ich bin Mitglied in den Vertreterversammlungen der KV Baden-Württemberg und der KBV. Ich engagiere mich im BFA, in der Kammer Baden-Württemberg und bin Delegierte des DPT.

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