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„Safe“ – eine TV-Serie von Caroline Link über die therapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
Nun also hat also Oscar-Preisgewinnerin Caroline Link als eine der ersten Regisseurinnen den Schritt gewagt, eine Fernsehserie zu schreiben, mitzuproduzieren und zu inszenieren über das bisher kaum beleuchtete Thema der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Wer ihren Film „Der Junge muss an die frische Luft“ (2018) gesehen hat, der weiß, dass sie solche Themen stilistisch und inhaltlich versiert umsetzen kann. Dort geht es um den beliebten deutschen Komiker Hape Kerkeling, der als Kind den Selbstmord seiner Mutter miterlebte, eine Erfahrung, die er in seinem autobiographischen Buch gleichen Titels erst Jahre später öffentlich gemacht hat. Viele seiner Fans hat er damit zutiefst berührt.
Im November 2022 wurde nun „Safe“ auf ZDFneo ausgestrahlt, seitdem ist die Serie in der Mediathek als Stream verfügbar. Doch was ist von dieser Darstellung der therapeutischen Arbeit mit Kinder und Jugendlichen zu halten?
Link erzählt in der achtteiligen Serie die Geschichte der beiden „Therapeut*innen“ Katinka und Tom, die in Berlin eine Praxis für „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie“ haben, ganz idyllisch in einem Häuschen mit Garten gelegen, abseits des urbanen Berlin. In jeder Episode werden jeweils zwei der insgesamt vier Patient*innen behandelt, sodass ein dramaturgischer Spannungsbogen über die Episoden aufrechterhalten werden kann. Das Privatleben von Tom und Katinka wird nur in geringem Umfang beleuchtet. In der Filmsprache würde man das Backstorywound nennen. Tom hat eine Teenager-Tochter aus getrennter Partnerschaft, Katinka eine Beziehung zu einem verheirateten Arzt, der sich wiederum nicht von seiner Familie trennen will. Ob man das nun braucht oder nicht, lassen wir dahingestellt, zentral sind die über einige Stunden gerafften Therapiesitzungen der vier Kinder und Jugendlichen, die jeweils mit Symptomatik und ICD-10-Diagnose vorgestellt werden.
Patientin Nummer 1 ist Ronja, die 6 Jahre alt ist und mit einer „emotionalen Störung des Kindesalters“ und einer „Störung des Sozialverhaltens“ diagnostiziert wird. Ihre Eltern sind getrennt, mit dem jüngeren Bruder steht sie in schwieriger rivalisierender Verbindung. Den Vater, der ein problematisches Alkoholverhalten zu haben scheint, idealisiert sie zwar, dieser erscheint aber aus Erwachsenensicht übergriffig und bringt sie in für ihr Alter inadäquate Situationen. Patient Nummer 2 ist Jonas, der 8 Jahre alt ist und mit einer „Anpassungsstörung und depressiver Verarbeitung“ behandelt wird, da sein Vater an Krebs erkrankt ist und im Laufe der Serie auch stirbt. Der erste Jugendliche Patient ist Sam, zwischen 15 und 16 Jahren alt, aufgewachsen bei Pflegeeltern und ebenfalls mit einer „Störung des Sozialverhaltens“ diagnostiziert. Für Sam ist eigentlich alles zu viel und in seiner jugendlichen Wut und Enttäuschung über die Verhältnisse schlägt er über die Stränge. Nellie ist 15 Jahre alt und wird mit einer „Panikstörung“ diagnostiziert, in ihrer Vergangenheit und Gegenwart scheinen aber Aktualkonflikte und Traumatisierungen auf, die einer eindringlichen Behandlung bedürfen.
Man kann über die ICD-10-Diagnosen (die ICD-10 ist ein international anerkanntes Manual zur Diagnose von Erkrankungen, deren Ziffern für die Krankenkassen verwendet werden) nun sprechen oder nicht, der gewünschte Anschein von Authentizität wird damit allemal erzeugt. Insgesamt sind die Diagnosen bei der Symptomatik der Charaktere wohl passend, wenn auch fraglich, ob sie so kombiniert werden müssen, auch, ob z.B. Nellies Diagnose nicht anzupassen wäre. Doch Zuschauer*innen braucht so etwas erstmal nicht zu interessieren, so eindringlich und berührend sind die Schicksale der beiden Kinder und der beiden Jugendlichen, so bereitwillig folgt man über die kurze Erzählspanne der Serie den Leben dieser jungen Protagonistinnen im Austausch mit ihren Therapeut*innen. Kurzum, zur feinfühligen Regie von Caroline Link, den herausragenden schauspielerischen Leistungen der beiden Theaterschauspieler Judith Bohle und Carlo Ljubek als Tom und Katinka kann man eigentlich nur lobende Worte finden. Ganz zu schweigen vom Schauspiel der Kinderschauspieler*innen Lotte Shirin Keiling und Valentin Opermann und den beiden Jungschauspieler*innen Jonte Blankenberg und Carla Hüttermann. Alleine bei der Darstellung von Ronja ist man versucht zu denken, die kleine Schauspielerin sei gewiss ein paar Jahre älter als das Mädchen, das sie darstellt. Tatsächlich ist dem nicht so: Hut ab!
Was man aus psychotherapeutischer und berufspolitischer Sicht einwenden könnte ist, dass das den Behandlungen zugrundeliegende Psychotherapieverfahren nicht benannt wird. In der inhärenten Erzählwelt von „Safe“ wird zu keiner Zeit von einem Psychotherapieverfahren gesprochen. Laienzuschauer*innen wissen also nicht, auf welchem psychotherapeutischem Ansatz die Behandlungen beruhen, alles geschieht unter der Überschrift „Kinderpsychotherapie“. Fachlich wurde das Filmprojekt von Sabine Schlippe-Weinberger und Curd Michael Hockel betreut, beides Vertreter*innen der personenzentrierten Psychotherapie, die wissenschaftlich (noch) nicht als Kassenleistung anerkannt ist, im Gegensatz zur verhaltenstherapeutischen, tiefenpsychologischen und analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (übrigens ist die seit 2020 anerkannte Systemische Psychotherapie bei Erwachsenen anerkannt, bei Kindern und Jugendlichen allerdings nicht). Was ebenfalls auffällt ist, dass die Bezahlung der Therapiestunden überhaupt nicht thematisiert wird und dies dem Umgang mit dem Thema bei anerkannten Verfahren natürlich ebenfalls entgegensteht. Dort sichert man über die Nutzung der Versichertenkarte der behandelten Kinder oder Jugendlichen die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ab, erhält darüber hinaus auch die Bestätigung, dass das Verfahren innerhalb unseres Gesundheitssystems anerkannt ist und kann sich also sicher sein, dass hier eine adäquate Behandlung stattfindet.
Trotz dieser fachlichen Einwände würde ich allen Kolleg*innen empfehlen, die Serie anzuschauen, da Caroline Link als Regisseurin, wie gesagt, sehr feinfühlig an dieses Thema herangeht und es ihr gelingt, im Rahmen eines therapeutischen Settings tiefgehende Geschichten zu erzählen. Gerade weil das Verfahren nicht genannt wird, bleibt es aus filmwissenschaftlicher Erzählsicht offen, da es nicht in der intradiegetischen (Erzähl-)Welt benannt wird und nur von außen, also extradiegetisch mit dem Titel „Personenzentrierte Psychotherapie“ benannt wird. Insgesamt ist Caroline Links Serie nämlich ein Plädoyer zur Behandlung von psychischen Symptomen und Problemen bei Kindern und Jugendlichen. Im Übrigen kann man auch sagen, dass die gezeigte Art der Therapie nicht so weit entfernt ist von derjenigen in den psychodynamischen Verfahren (Tiefenpsychologie und Psychoanalyse) in der anerkannten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen in diesen Verfahren würden sicher nicht alles so umsetzen, wie es im Film gezeigt wird, aber die allgemeine Herangehensweise widerspricht nicht dem, was in der kassenärztlichen – übrigens auch verhaltenstherapeutischen – Psychotherapie gemacht wird: Es geht darum, Bindung aufzubauen und den Kindern und Jugendlichen einen angemessenen Raum und Rahmen zu geben.
Es ist also etwas schade, dass es keine der anerkannten Richtlinienverfahren geschafft hat, bei Caroline Link, die offenbar Interesse an dem Thema hat, zum Vorbild der gezeigten therapeutischen Arbeit zu werden, aber das tut der Freude an der Serie und der Bedeutung des Themas keinen Abbruch. Eine angemessene Aufklärung zur kassenärztlichen Psychotherapie wäre allerdings für die extradiegetische Welt in den Titeln und dem Abspann mit Blick auf eine Folgestaffel durchaus empfehlenswert, – auch und vor allem im Sinne jener Zuschauer*innen, die als betroffene Patient*innen ein derartiges Hilfs- und Behandlungsangebot annehmen möchten.
Um es also noch einmal zu sagen, die Serie Safe ist vollumfänglich ein Plädoyer für die Wichtigkeit einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, – etwas, womit viele Menschen wohl zum ersten Mal in Berührung kommen dürften. Damit leistet Link grundlegende Aufklärungsarbeit, zeigt etwas, über dessen Existenz sich viele wohl gar nicht bewusst sind. Großartig wäre es gewesen, wenn unsere Richtlinienverfahren thematisiert worden wären, aber vielleicht ist es ein erster Schritt in dieser Zeit, in der das Fernsehen sehr viele Therapieserien auf den Schirm bringt, auch andere Filmemacher*innen für die anerkannten Verfahren zu interessieren und sie zu animieren, auch diese filmisch umzusetzen.
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