bvvp - Blog

Welche Fragen treiben Psychotherapeut*innen gerade um? Was müssen sie wissen, wenn sie in den Beruf starten – oder in Zeiten des beruflichen Umbruchs? Unsere bvvp-Blogautor*innen schreiben über alle brisanten Themen – und sind dabei mit Ihnen im Dialog. Einfach im Mitgliederbereich anmelden und mitdiskutieren!

Namentlich gekennzeichnete Blogartikel geben nicht unbedingt die Meinung des bvvp-Bundesvorstands oder der Homepageredaktion wieder.

Das Meme und seine Beziehung zum Unbewussten

von Dennis Herlan

„Das Internet ist für uns alle Neuland“ war eine Aussage von Angela Merkel, auf die oft ironisch Bezug genommen wird, wenn es um die Geschwindigkeit geht, in der sich die Dinge in Bezug auf die Digitalisierung in Deutschland entwickeln. Geht es um Internetgeschwindigkeit, Netzabdeckung oder einfache um die Digitalisierung von bürokratischen Vorgängen, die heute noch über Fax oder Brief laufen, ist Deutschland nicht für seine Geschwindigkeit und eine Vorreiterrolle bekannt. Ein plakatives Beispiel ist das sogenannte „Digitale Formular“, das ausgedruckt und zum nächsten Briefkasten gebracht werden muss. Doch schon lange findet das Leben mehr und mehr im Netz statt. Sei es die Kontaktpflege über Facebook, Schreiben über Whatsapp, das Googeln, Mails schreiben, Informieren über neuste Studienlagen und letztendlich auch oft die Suche von Psychotherapeut*innen.

Patient*innen erkundigen sich online, schauen sich Youtube Filme an, lesen Artikel, lesen Bewertungen von Therapeut*innen und Ärzt*innen und auch Sie, die Sie gerade diesen Blog lesen, tun es online.

In Zeiten der Sozialen Medien ist das Internet ein Platz, an dem Meinungsbildung stattfindet und wer dort nicht präsent ist und für seine Überzeugungen und Werte einsteht, wird weniger und weniger eine Rolle in diesem Prozess der Meinungsbildung spielen.
Im Umkehrschluss kann man folgern: Wer in den sozialen Medien aktiv ist und dort seine Meinung vertritt, bestimmt mit, wohin der Diskurs geht. Das muss – auch bezogen auf die Psychotherapie – nichts Positives sein, da im Internet jeder seine Leistungen anbieten kann und mit entsprechendem Charisma, den richtigen Werbetechniken und eventuell auch Halbwahrheiten und Falschinformationen Menschen, die eventuell professionelle therapeutische Hilfe brauchen, von dieser fernhalten, oder was noch schlimmer wäre: schädigen könnte.
Sie haben es bereits in der Überschrift gelesen und fragen sich eventuell immer noch „Was ist denn jetzt eigentlich ein ‚Meme‘?“.

Hier möchte ich kurz eine Definition einbeziehen:
Ein Meme (ausgesprochen [miːm], Mehrzahl Memes) ist ein kreativer Inhalt, der sich vorwiegend im Internet verbreitet. Dieser ist in der Regel humoristisch und aufheiternd, manchmal auch satirisch und entsprechend gesellschaftskritisch. Bei Memes kann es sich um selbsterstellte Werke handeln, aber auch um montierte oder aus dem ursprünglichen Kontext gerissene Fotografien, Zeichnungen, Animationen oder Filme von anderen. Sie tauchen in Form bewegter und unbewegter Bilder, Texte, Videos oder auch Audio auf, sind also nicht an einen Medientyp gebunden. Meist werden Memes über das Internet weitergereicht, wo sie eine virale Verbreitung erlangen. Memes sind ein bedeutender Teil der Netzkultur.

Quelle: Dennis Herlan
Quelle: Rätsel des Unbewussten

Also ist ein Meme eigentlich eine Modernisierung dessen, was man früher als Karikatur gekannt hat. Doch muss man überhaupt wissen, was ein „Meme“ ist? Ist das irgendwie relevant? Ist doch bloß Internet und damit nicht real, oder?
Mit Memes wird Politik gemacht, Memes werden genutzt, um Informationen zu verbreiten, andere Ansichten zu kritisieren, anzugreifen oder jemanden außer Gefecht zu setzen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit war der Internetwahlkampf von Donald Trump 2016 in den USA. Hier waren regelrechte Internet-Armeen an Netz-Aktiven online tätig und haben solche Memes erstellt, um entweder ihren Favoriten Trump zu unterstützen oder die Gegenseite, in diesem Fall Hillary Clinton, empfindlich anzugreifen. Und das letztendlich mit Erfolg.
Auch im Bereich der Psychotherapie finden sich heiße Diskussionen im Internet und in diesem Fall gewinnt nicht nur die Person mit der „vernünftigsten“ Ansicht oder mit der, die auf wissenschaftlicher Basis belegt ist, sondern die Leute mit der meisten „Manpower“ und den „augenscheinlich“ eingängigeren Argumenten oder härteren Angriffen auf die Gegenseite gehen oft als Sieger hervor.
Der „Schulenstreit“ aus der Geschichte der Psychotherapie findet weiterhin statt und zwar im Internet. Nun tobt er in Youtube-Videos, Twitter- und Facebook-Kommentarsektionen und teilweise sogar auf den Homepages von Psychotherapeut*innen oder von Berufs- oder Fachverbänden, auf denen gegen andere Verfahren „geschossen“ wird.

Auch die Praxis und die akademische Forschung der Psychotherapie scheint zerstritten zu sein –uneinig darüber, was die Zukunft bringen soll und muss.
Eines kann jedoch keine Lösung sein: Sich aus „dem Internet“ raushalten, sich aus der Politik raushalten und denen die Bühne überlassen, die eventuell zwar in ihrem eigenen besten Interesse, aber nicht in dem der Patient*innen handeln.

Meine Erfahrung zu diesem Thema:
Als noch recht junger Therapeut bin ich auch im Internet präsent und erkundige mich dort auch über meinen Berufsstand. Twitter öffnete mir hier sozusagen neue Horizonte, denn dort fand ich etwas wieder, was ich noch aus dem Studium und aus der Geschichte der Psychotherapie kannte: Den Schulenstreit. Also die Kontroverse zwischen verschiedenen Therapieschulen, in der Therapeut*innen, Psychotherapieforscher*innen, Psycholog*innen etc. darüber streiten, welches denn nun das beste Verfahren sei, ob es überhaupt noch Verfahren brauche und wie generell die Zukunft der Psychotherapie aussehen sollte. Hier fand ich eine Fülle von Zugängen: akademische Diskussionen, Herabwürdigung anderer als dem eigenen Verfahren, produktive Gespräche, neuste Infos zur Studienlage und: Memes. Und zwar Memes zum Thema Psychotherapie.

Quelle: Georg Henning
Quelle: Dennis Herlan

Und diese Memes sprachen mich an, denn sie schafften es – meist auf humorvolle Weise – einen Kritikpunkt, eine Anregung oder die eigenen Stärken hervorzuheben, sodass man dabei lachen konnte, aber auch darüber nachdenken musste und zumindest ich, nicht darum herum kam, später doch nochmal ein Fachbuch zur Hand zu nehmen und zu recherchieren, ob der Kritikpunkt oder die Anregung aus der Luft gegriffen waren oder wirklich etwas dran war am ausgedrückten Gedanken. So entstanden regelrechte kleine Wettkämpfte und Diskussionen, die nicht im Schriftwechsel, sondern über den Austausch von Memes, also von Bildern geschah und so in ansonsten teilweise bitter ernste Diskussionen mit der Verhärtung von Meinungen eine gewisse Lockerheit brachte, weil die jeweils andere Person eben vielleicht doch eine schlagkräftige und dabei amüsante Antwort parat hatte, über die man sich vielleicht aufregte, bei der man aber ums Schmunzeln nicht herumkam. Und auch wichtig: Diese „Streitigkeiten“ wurden offen im Internet ausgetragen, so dass sich auch jede Person mit einer differierenden Meinung oder anderen Expertise einschalten und vielleicht eine andere Sichtweise in das Gespräch einbringen konnte. Auch Vorurteile konnten durch die humoristische Darstellung aufgegriffen und überspitzt werden, so dass wieder die Möglichkeit entstand, über diese zu diskutieren und man letztendlich doch einen gewissen Einblick bekam, den man auf andere Weise vielleicht nicht bekommen hätte. Die Niederschwelligkeit im Zugang zu Memes ist auch etwas, was sie perfekt macht, um ganz unterschiedliche Menschen zu erreichen, denn auf einmal fanden sich viele Interessierte, die bei diesem Meme-Wettkampf dabei sein wollten, seien es Psycholog*innen, Ärzt*innen, Therapeut*innen, Student*innen usw. Sie alle wollten dabei zusehen, wie verschiedene therapeutische Schulen im humoristischen Austausch einander argumentativ die Stirn bieten, zumeist (bis auf Ausnahmen) ohne sich dabei persönlich anzugreifen, geringzuschätzen oder abzuwerten.

Quelle: Dennis Herlan
Quelle: Dennis Herlan

Autor*in

Dennis Herlan

Musiktherapeut B.A., in Ausbildung zum Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeuten (PA/TP)

Alternative Text

Ein Kommentar

feiann
  • 8. Februar 2023 um 9:08 Uhr

Super Artikel. Und danke für das letzte Meme zum Pflichtpraktikum. Es ist leider so wahr. Annika