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Persönliche Erwiderung von Ulrike Böker auf: „Gesellschaftliche Spaltungen und unsere Rolle als Psychotherapeuten“ von Andreas Jost
- 2. Februar 2022
- Gesellschaft
- Pandemie
Lieber Andreas,
ich stimme Dir absolut zu, dass es um Verständnis geht für alle Seiten und dass man Ausgrenzungen und (Ab-)Spaltungen sowieso immer und grundsätzlich entgegentreten muss. Deshalb finde ich Deinen Blog-Beitrag auch richtig gut.
Ich habe Mitgefühl für die Kolleginnen und Kollegen, denen Corona das Leben gerade besonders schwer macht, die sich das Leben vielleicht auch selbst gerade so schwer machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Corona auf alles wie ein Brennglas wirkt, auch auf die demokratischen Probleme, die schon vorher bestanden haben und nun umso sichtbarer werden. Das Thema wird politisch vielfältig benutzt und missbraucht, nicht nur von der rechtsextremen Seite. Der kritische und wütende Blick sollte ganz bestimmt deutlicher auf die Politik gerichtet werden, auf den respektlosen Umgang mit der Natur, auf den Personalmangel in den Intensivstationen, auf das eklatante Versagen beim Pflegenotstand insgesamt, bei der Impfstoffbeschaffung und auf vieles mehr. Und sicherlich nicht nur und auch nicht vorrangig auf die „Impfgegner“, wobei die Versuchung so wunderbar einfach ist, sich selbst bei den Guten zu sehen und den „Bösen“ die Schuld zu geben.
Hier sind wir in unserer Profession sicherlich besonders gefragt, auf die Kommunikation zu achten, und auf Defizite in der Kommunikation hinzuweisen (Übrigens: Diese nicht vorhandene Kommunikationsstrategie der Politik war über das gesamte letzte Jahr eine einzige Katastrophe und ist es noch immer). Wir sind auch gefragt, psychodynamisches Geschehen zu erklären, Ambivalenzen selbst auszuhalten und andere dabei zu unterstützen, diese auszuhalten, Ängste zu nehmen und Zuversicht zu installieren. Und natürlich unterstützt der bvvp alle Kolleginnen und Kollegen mit Informationen zur aktuellen rechtlichen Lage.
Aber ganz bestimmt möchte ich nicht, dass mein Verband sich gegen eine einrichtungsgebundene Impfpflicht ausspricht!
Wenn man den Schutzaspekt der Patient*innen in den Vordergrund stellt – und das ist Sinn des Gesetzes -, dann sind psychotherapeutische Behandlungen durchaus kritisch, in Hinblick auf die Infektionsgefahr. Denn wir sind in geschlossenen, oft auch kleinen Räumen über einen längeren Zeitraum mit den Patient*innen zusammen, wir arbeiten mit multimorbiden, deshalb auch oft somatisch erkrankten Menschen. Kinder und Jugendlichenpsychotherapeut*innen sind in engem Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen. Eine Sonderrolle für psychotherapeutische Praxen kommt deshalb hier sowieso gar nicht in Frage, zumal Teile der Profession laut nach Priorisierung gerufen hatte, als das Impfen begann, weil das Setting von 50 Minuten gemeinsam in einem Raum eben diese Infektionsgefahr mit sich bringt.
So kann man den Appell an das Verantwortungsgefühl genauso gut umdrehen: Von der Forderung, aus Verantwortung für die Weiterbehandlung aller Patient*innen die Impfplicht zurückzurufen, hin zur Forderung „Wenn man seine Versorgungsverantwortung ernst nimmt, dann muss man alles dafür tun, dass man sie (bestmöglich) ausüben kann, und dazu gehört auch, sich impfen zu lassen.“
Den immer wieder erhobenen Vorwurf, dass man mit einer Impfpflicht Kolleginnen und Kollegen ausgrenzen wolle, finde ich jedenfalls unsäglich. Das ist eine Umkehr der Tatsachen, die ich nicht akzeptieren kann!
Der bvvp hat erst kürzlich ein umfangreiches Info Aktuell an seine Mitglieder verschickt, in dem wir darüber informieren, was die Impfpflicht ganz konkret für nicht geimpftes Praxispersonal und nicht geimpfte Mitarbeiter*innen bedeutet. Die Gesundheitsämter (!), die seit Beginn der Pandemie absolut überfordert sind, weil sie kaputtgespart wurden, haben eine Ermessensentscheidung zu treffen, wenn man sich selbst oder sein Personal als nicht geimpft gemeldet hat. Und hier gehen die Einschätzungen der Juristen sehr auseinander, wie weit dieser reicht. Die einen gehen von einer klaren Verpflichtung der Gesundheitsämter aus, eine Güterabwägung vorzunehmen mit Blick auf die Sicherung der Versorgung, die Berufsfreiheit und den Patientinnenschutz (hier im Sinne von: „Patient*innen darf man ihre Behandelnden nicht einfach wegnehmen“). Die anderen schätzen es hingegen so ein, dass bei Berücksichtigung des Aspekts der Patient*innensicherheit – also der möglichen Gefahr einer Infektion während einer Behandlung – deren Ermessensspielraum quasi gleich Null ist. Das bedeutet, dass das Gesundheitsamt dann in jedem Fall ein Tätigkeitsverbot erteilen müsste.
Klar ist jedenfalls, dass noch keiner wirklich sagen kann, was ab Mitte März passiert. Das macht es zwar nicht leichter, bedeutet aber auch nicht gleich für alle das berufliche Aus. Aktuell wollen die ersten Landkreise im Osten zurückrudern, weil sie die Kontrolle der Impfpflicht angeblich organisatorisch nicht bewältigen können, manche Länder drängen auf Verschiebung, bis der sogenannte Totimpfstoff auf dem Markt ist. Lauterbach hält dagegen, dass die Impfpflicht nicht verschoben wird und sich einzelne Landkreise auch nicht aussuchen können, ob sie das Ganze umsetzen oder nicht. Aber es mehren sich die Stimmen, die betonen, dass die Umsetzung keine Personalprobleme in den Einrichtungen mit sich bringen dürfte. Und wo wäre dieses Problem klarer gegeben als in einer Einzelpraxis, die dann schließen müsste?
Anmerkung der Redaktion: Wir halten das Gespräch über diese Frage für so wichtig, dass wir alle unsere Mitglieder einladen, die Diskussion in unserem Online-Forum fortzuführen. Wir freuen uns über Ihre Beiträge zum Thema!
Lesen Sie den Beitrag von Andreas Jost hier im Blog.
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Mathias Heinicke