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Psychotherapie für alle(s)?

von Ulrike Böker

Auf dem Deutschen Psychotherapeutentag wurde eine Resolution verabschiedet, die aufgrund des gestiegenen Bedarfs an Psychotherapie vorübergehend zusätzliche Kapazitäten fordert, in Form von unbürokratischer Kostenerstattung oder zeitlich befristeten Ermächtigungen. Die Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen macht psychisch krank, die Leidtragenden sind insbesondere die Kinder und Jugendlichen. Ein weiteres wichtiges Thema auf dem DPT war der Klimawandel, und auch in diesem Zusammenhang wurde auf die psychischen Folgen hingewiesen, die eine Behandlungsnotwendigkeit mit sich bringen können. Benedikt Waldherr, unser Bundesvorsitzender, wies in seinem Redebeitrag darauf hin, dass besondere Patient*innengruppen, wie Straftäter, an Schizophrenie Erkrankte oder Menschen mit Mehrfachbehinderungen immer noch große Schwierigkeiten hätten, einen Therapieplatz zu finden und dass man mehr aus der Versorgung heraus denken solle.

Und schließlich liegt auch bei unseren bisherigen Therapiepatient*innen eine Behandlungsnotwendigkeit vor.

Und wir wissen es, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter und Armut macht bekanntlich auch krank: die vielerorts unsicheren Arbeitsplätze und mit viel Druck verbundenen Arbeitsbedingungen, der krankmachende Konsum von digitalen Medien, die schwierigen Wirtschaftsbedingungen, die womöglich in eine große Wirtschaftskrise münden …

Alles liegt am Boden, nur die Psychotherapie boomt??

Die Fehler der Politik füllen unsere Wartezimmer!

Psychotherapie kann nicht dazu dienen, die Reparaturwerkstatt für alle gesellschaftlichen Probleme zu sein. Der Bedarf, der damit geschaffen wird, kann vom System der solidarischen Krankenversicherung niemals gedeckt werden. Schon jetzt ist klar, dass die Kassen in Geldnöte kommen werden. Ursache ist nicht nur die Pandemie, die durch aktuell hohe Kosten und langanhaltende wirtschaftliche Probleme die Beitragseinzahlungen mindern wird, sondern auch die extrem teure Gesundheitsgesetzgebung unseres hyperaktiven Gesundheitsministers Spahn.

Die Politik ist gefordert, sich um niederschwellige Beratungs- und Versorgungsangebote zu kümmern. Die Beratungsstellen müssen gestärkt werden, genauso wie Schulsozialarbeit und schulpsychologische Angebote. Wichtig sind überdies eine ausreichende Anzahl an Betten und ein guter Personalschlüssel in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken. Und nicht zuletzt muss dafür gesorgt werden, dass es genug Nachwuchs bei den Psychiater*innen gibt, denn nicht alle psychiatrische Patient*innen gehören in psychotherapeutische Praxen.

Aber genauso sind Psychotherapeut*innen aufgefordert, sich nicht nur im Therapieraum zu engagieren, sondern auch außerhalb: auf gesellschaftliche Probleme hinzuweisen, sich in den Medien zu äußern, Änderungen von der Politik zu fordern. Sie sind aufgefordert, politischer zu werden und sich auch ein Stück weit der Rolle als Reparaturbetrieb zu verweigern. Es ist ja erst der Anfang zu sehen, und man kann nur ahnen, was da noch alles auf die psychotherapeutischen Praxen zukommen wird in den kommenden Jahrzehnten. Der Bedarf durch die gesellschaftlichen Entwicklungen wird weiter zunehmen, was die Psychotherapeut*innen auch werden ausbaden müssen. Der geschützte therapeutische Raum ist nur ein winziges Inselchen, und das Wasser steigt!

Autor*in

Ulrike Böker

Seit 2010 Mitglied des bvvp, seit 2012 im Bundesvorstand aktiv und stellvertetende Vorsitzende des bvvp-Baden-Württemberg. Mit eigener Kassenzulassung in Reutlingen tätig. Ich bin Mitglied in den Vertreterversammlungen der KV Baden-Württemberg und der KBV. Ich engagiere mich im BFA, in der Kammer Baden-Württemberg und bin Delegierte des DPT.

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