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Tatort: Psychiaterbashing
- 31. Oktober 2022
- Medien
Das war nun doch etwas zu viel: Nach zwei Sonntagabend-Tatorten („Leben. Tod. Ekstase“, der Tatort aus Frankfurt vom 16.10.2022 und der Wiener Tatort „Tor zur Hölle“ vom 02.11.2022) mit je einem verrückt gewordenen Psychiater fragt man sich, welches Bild Drehbuchautoren von Neurotikern, Psychotikern und ihren Helfern haben und welches Bild Hilfsbedürftigen damit vermittelt wird. Zugegeben, Fiktion ist Fiktion und nicht die Realität, aber in Zeiten, in denen das eine mit dem anderen auch in öffentlichen Diskursen zuweilen zu verschmelzen scheint, besteht größere Verwechslungsgefahr. Vor dem Hintergrund eines immer drastischer werdenden Mangels an niedergelassenen Psychiater*innen, und der Tatsache, dass die existierenden dem Ansturm von Patient*innen nicht mehr gerecht werden können, zudem von schlechten Bedingungen für den Nachwuchs wegen vergleichsweise schlechterer Bezahlung im Verhältnis zu anderen Facharztgruppen und einer seit 26 Jahren nicht überarbeiteten Abrechnungsordnung für private Patient*innen, sollten vielleicht mal die Konflikte und Nöte dramaturgisch zu Darstellung kommen, die sich aus dieser Hintergrundmisere ergebend. Also vielleicht: Psychiater läuft Amok wegen immer geringer werdender Bezahlung …?
Doch im Einzelnen: Egal, ob die jeweilige Psychiater-Figur in einer Klinik oder in einer Einzelpraxis niedergelassen ist, viele Darstellungen zeichnen den Psychiater als gefühlslabilen, selbst hilfsbedürftigen Sonderling, dem in der Realität niemand Vertrauen entgegenbringen würde.
Der Frankfurter Tatort nahm sich die in der Presse immer mal wieder erwähnten „Psycholyse“-Seminare zur Zielscheibe einer mit verheerenden dramaturgischen Mitteln formulierten Kritik. Die meisten der Teilnehmer*innen einer solchen Sitzung sind denn auch bereits am Anfang der Handlung im Jenseits angekommen.
„Psycholyse“ ist der seit den sechziger Jahren immer wieder unternommene Versuch, mit Hilfe von psychotropen Substanzen schnelle Heilerfolge bei psychisch Kranken zu erzielen. Stichworte sind etwa Timothy Leary und LSD. Gerade derzeit sind solche Ansätze – in einem strengen Forschungssetting – wieder im Fokus ernsthafter wissenschaftlicher Arbeit. „Psycholyse“ hat im Übrigen trotz der naheliegenden Assoziationen nichts gemein mit dem anerkannten Therapieverfahren „Psychoanalyse“, das im deutschen Kassensystem als „analytische Psychotherapie“ bezeichnet und angewendet wird.
Während der Tatort-„Psycholyse“-Doktor also als ein Verschnitt aus einem erlösungsseligen Schwurbelguru und einem rhetorischen und emotionalen Nazi gezeichnet wird, nahm es der Kollege im Wiener Tatort „Tor zur Hölle“ nicht nur mit dem verdrängten Unbewussten, sondern gleich mit dem Teufel höchstpersönlich auf. In Undercover-Teufelsaustreibungen sollte er befinden, wann es sich um einen Wahn und wann um tatsächliche Besessenheit handelte – als könnte man das differentialdiagnostisch herausfinden.
Der Schaden, den eine bemühte und sehr engagierte Berufsgruppe mit ihrem Image bezahlt, um stereotype Vorurteile zu bedienen und damit mühsam konstruierten Handlungssträngen mehr Drive zu geben, mag vielleicht nicht zu beziffern sein, schade ist es in jedem Fall, dass die zweifellos oft interessant und vielschichtig, ja zuweilen auch eigenwillig wirkenden Persönlichkeiten, die in diesem Fachgebiet tätig sind, in der Darstellung so eindimensional bleiben.
Auch die Verwechslungsgefahr für Laien bleibt erheblich: Die meisten real existierenden Psychiater*innen arbeiten weniger psychotherapeutisch als es dargestellt wird, haben oft weniger Zeit für Gespräche. In den Filmen werden sie jedoch meist als Analytiker dargestellt, sehr wohlhabend, entsprechend über unendlich viel freie Zeit verfügend, mit merkwürdigen Vorstellungen von sich und anderen Menschen. Psychotherapeut*innen aber verrichten in Wahrheit im Stillen eine deutlich weniger spektakuläre Arbeit. Vielleicht beunruhigt das so sehr, dass man sich immer wieder einmal filmisch ausmalen muss, wie verrückt sie eigentlich sein müssen, um sich den ganzen Tag mit ihren Patient*innen und deren Sorgen beschäftigen zu müssen.
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